You are deformed and you are ugly! And these are crimes for which the world shows little pity.
Du bist missgestaltet und du bist hässlich! Und dies sind Verbrechen für die die Welt wenig Mitleid zeigt.
("Out there" aus Disneys "The Hunchback of Notre Dame - Der Glöckner von Notre Dame")Ich erinnere mich noch gut, dass ich am Vortag in einem Café den Wirt gefragt hatte, ob er den Wetterbericht gehört hatte. Zwei deutsche Mädchen neben mir machten sich über mich lustig. "So eine Frage kann nur ein Deutscher stellen. Das ist Spanien, Sonnenschein natürlich, Sonne, Sonne, Sonne." Ich erinnere mich gerade deswegen, weil mich auf der Straße aus Mos heraus ein lautes Donnergrollen und ein schwarzer Himmel dazu bewegen, die Honecker-Regel zu brechen, zur Herberge zurück zu laufen um dort das Frühstücksangebot wahrzunehmen und dabei den Regenguss abzuwarten.
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| Obwohl das natürlich ganz hübsch aussah. |
Das hatte ich mir schon gedacht, denn das brasilianische Wort für "Frühstück" übersetzt sich mit "Morgenkaffee". Da reicht es nicht einmal zum Croissant.
Als der erste sintflutartige Regenguss vorbei ist, laufe ich los - sehr bald fängt es aber wieder an zu regnen. Ich komme in der Nähe der zweiten Herberge in einem weiteren Café unter, wo ich die Russinnen wiedertreffe, die wir in der Nähe von O Porriño das letzte Mal trafen.
Es regnet sich ein. Die gute Nachricht daran ist, dass es nicht mehr so heiß ist, sondern angenehm kühl. Die schlechte, dass das alles auf die Stimmung drückt und auch der große Poncho nur dafür sorgt, dass man durch den Schweiß und nicht durch den Regen feucht wird.
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| Nicht im Bild: die Pfadfindertruppe, die vorher langgestiefelt ist, die zwar sehr lieb, aber sehr laut sind |
Mein Gelenk macht immer wieder Probleme und tut weh. Am Wegesrand entdecke ich Schilder von einer Physiotherapeutin in Redondela, der spezielle Angebote für Pilger hat. Ich nehme mir vor, ihr einen Besuch abzustatten, was auch der portugiesische Arzt, der Susann behandelt hat, für eine gute Idee hält, als ich ihm zwischendrin über den Weg laufe.
In den Außenbezirken von Redondela kehre ich mit Thomas, einem Österreicher, den ich zuletzt mit den Bayern herumlaufen sah, in einer Bar ein und wir unterhalten uns, während ich mir einen provisorischen Stützverband bastel.
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| Man sieht es echt noch nicht, dass man in einer Stadt ist - dafür aber kreative Pilgersymbole |
Er ist davon überzeugt, dass ich Freimaurer oder Rosenkreuzer oder so etwas wäre. Ich hätte da so etwas an mir. Ich erzähle ihm, dass ich mal in einem Wicca-Zirkel war, dass das aber in der Vergangenheit liegt. Wir reden über magische Handlungen und Symbole und darüber, dass nur die Dinge über einen Macht haben können, wenn man sie lässt. So, wie der Weg. Jeder Pilger lässt sich auf den Weg ein und auf die Symbole, die damit im Zusammenhang stehen. Und das ist ein spiritueller Akt, der den Weg und alle Phänomene dadurch erzeugt, dass so viele den Weg laufen. "Wanderer, es gibt keinen Weg, du schaffst den Weg durchs Gehen..."
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| Leider ist der Abstieg zur Stadt gut steil und damit nicht gerade angenehm für mein Gelenk |
Mein Fußgelenk will keinen Weg mehr schaffen und unter Schmerzen erreiche ich die Innenstadt von Redondela - keine lange Strecke. Nach dem Einchecken mache ich mich auf dem Weg zu der Adresse, die auf den Plakaten angepriesen stand - nur um vor einem leeren Gebäude zu stehen. Glücklicherweise sah ich eine andere Praxis in der Stadt, zu der ich jetzt gehe. Es handelt sich um ein medizinisches Zentrum, eine Ärztin und eine Physiotherapeutin unter einem Dach.
Die Ärztin und die Schwester gucken sich meinen Fuß von allen Seiten an und versuchen verschiedene Manipulationen immer mit der Frage, ob das wehtut. Schließlich kommen sie zu dem Schluss, dass es sich tatsächlich einfach um eine Überanstrengung handelt. Sie machen mir einen Voltarenverband und empfehlen mir, mich von der Therapeutin noch einmal massieren zu lassen - die sei aber gerade nicht da, sie könnten mir aber in 50 Minuten einen Termin geben, ich solle aber pünktlich sein.
Es gibt nicht wirklich viel zu tun für einen Pilger, der da gerade in einer Stadt feststeckt. Ich gehe kurz in die Apotheke und kaufe Medikamente. Dann hole ich mir aus der Herberge mein Buch um die Wartezeit zu überbrücken und bin 20 Minuten vor dem Termin zurück. Die Schwester schaut mich verwundert an und dann auf die Uhr. "Sie haben noch 20 Minuten," meint sie auf Castellano, "was machen Sie so früh denn schon hier?" Ich grinse sie leicht schelmisch an und antworte "Ich bin Deutscher!" Sie guckt mich an und kann das laute Losprusten gerade so vermeiden, in dem sie sagt: "Moment, ich schau mal, ob die Therapeutin schon da ist..."
Zunächst komme ich unter die Wärmelampe, dann kommt die Therapeutin und verpasst meinen geschundenen Unterschenkeln eine ordentliche Massage, wo es sich anfühlt, als würde sie jede Sehne und jedes Band einzeln raustrennen, entwirren und wieder einsetzen. Entspannter als zuvor und mit 50€ weniger für die Behandlung verlasse ich das Zentrum und bereue nichts.
Ich solle am nächsten Tag locker machen und nicht so weit laufen. Und ich soll mir eine Stützbandage aus der Apotheke besorgen und tragen, insbesondere, wenn es wieder steil bergan geht. Und ich soll das Gelenk möglichst oft hochlegen und mit Eis oder Kühlpacks kühlen.
Zu Abend essen wollte ich in einem Irish Pub auf der Straße. Ich fühle mich in meiner Auswahl bestätigt, da im Schaufenster steht, dass man dort eine Tüte Eiswürfel für 2€ kriegt. Die bestelle ich auch gleich beim Wirt und balanciere sie auf meinem Fuß, den ich demonstrativ auf die Bank ablege. Ich esse recht gut, auch durch die Snacks die, für Galizien üblich, ungefragt und gratis mit auf den Tisch gelegt werden.
Als ich zahle werden mir die 2€ für das Eis nicht berechnet. "Geht aufs Haus, ihrem Fuß geht es ja nicht gut." Ich bedanke mich und gehe zurück in die Herberge, wo ich Thomas und Klaus, die dort auch angekommen sind, von dem Urteil der Ärztin erzähle.
Wegen des Verbands kann ich nicht duschen, also wasche ich mich im Waschbecken und sehe dabei mein Spiegelbild. Und da ist er. Mein Minotaurus. Es war natürlich nicht richtig, dass ich nicht weiß, wer mein Minotaurus ist. Ich weiß es und ich weiß es schon seit Jahrzehnten. Er ist mit der Grund für die Pilgerfahrt. Und er ist mit der Grund für ein paar harte Entscheidungen gewesen.
In dem Shambhala-Buch steht, dass man sich im Spiegel in die Augen sehen können muss mit dem Gefühl aus ganzem Herzen, die Welt verdient zu haben. Und das kann ich nicht. Ich halte es kaum aus, meinen Körper beim Waschen im Spiegel zu sehen, geschweige denn mir in die Augen zu sehen. Ich empfinde mich als unförmig, als hässlich. Nein, ich fühle nicht, dass ich die Welt verdient habe. Nein, ich fühle nicht, dass ich irgendwas verdient habe. Schon gar nicht die Liebe von einem anderen Menschen oder von dem, in den ich mich verliebt habe. Und ja, dass ist mein Monster. Das ist mein Felsbrocken auf dem Weg. Ja, natürlich, ich kenne die Glückskekssprüche - ich weiß, wer soll mich schon lieben, wenn ich es nicht einmal selbst tue. Ja, ich weiß, dass es Menschen gibt, die mich lieb haben und die ich lieb habe. Ja, ich weiß, dass das alles den Namen "Körperdismorphie" hat, die krankhafte Vorstellung, unförmig oder hässlich zu sein.
Und nein, es hilft nicht. Und es helfen auch nicht die Myriaden Abnehmversuche, die ich dann doch selbst sabottiere, weil ich unrealistische und verzweifelte Ziele setze. Warum kann ich hier keine gelben Pfeile haben, die mich um diesen Felsbrocken herumleiten? Ein gelber Pfeil, der mir signalisiert, dass es weitergeht. Aber es gibt keinen. Oder will ich ihn nicht finden?
Die Körperdismorphie ist überhaupt der Grund gewesen - oder zumindest einer der Hauptgründe - warum ich alleine auf den Camino wollte. Alle anderen Themen und Gedanken hätte ich mit Freunden teilen und gemeinsam erleben können. Der Weg ist unnötig aber nützlich, sinnhaft, beseelt magisch? Mit meinen Freunden Simon oder Felix hätte ich mit wachsender Begeisterung gemeinsam beim Wandern darüber philosophieren können. Aber dieses Problem muss ich alleine bewältigen. Struppi wies mich darauf hin, dass er versucht hat zu helfen, ich aber jeden Versuch sabottiert und blockiert habe. Das Problem ist in mir. Ich habe es verschlossen und nur ich kann es lösen.
Ich bin der Weg. Und das Hindernis. Ich bin der verletzte Knöchel und die Heilung. Wie kann etwas Weg und Hindernis sein? Warum blockiere ich mich? Warum klammere ich mich an dieses negative Selbstbild so sehr? Warum ist mir das so wichtig?
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