Dienstag, 11. Juli 2017

Tag 13 - Führe mich nicht in Versuchung (Teo - Santiago de Compostela)

Country roads, take me home to the place I belong.
Landstraßen, bringt mich nach Hause zu dem Ort, wo ich hingehöre.
("Country roads", John Denver)
"Magst du Country?" fragt mich Luciano ,als wir gemeinsam die letzten 12km zur Kathedrale von Santiago laufen. Dem offiziellen Ziel des Jakobswegs. Er hatte mir erzählt, dass er, als er das erste Mal pilgerte, den Bolero gespielt hatte, als er nach Santiago einlief. Was sich wie ein Triumphmarsch anfühlte. Leider hätte er den aber nicht mehr auf seinem Handy. Also laufen wir durch die Vororte und hören dabei "Country Roads". Es fühlt sich dennoch erstaunlich passend an.
So sah es nicht mehr lange aus.
Die Meilensteine mit der Jakobsmuschel am Wegesrand zählten immer weiter runter. Nur noch 8, nur noch 6km. Aufgeregt deute ich auf die Straßenschilder, die nicht mehr das Wappen von Teo zeigten, sondern das Stadtwappen von Santiago de Compostela. Auch die Gullideckel zeigten es. Luciano schüttelt verständnislos den Kopf. Ein paar Dinge versteht er an mir nicht. Das mit den Sandalen, dass ich auch heute einen Liter Eistee auf einen Schlag trinke - und wie ich so begeistert über einen Gullideckel sein kann.
Dafür spielt er den stereotypischen Italiener und schwärmt mir von Frauen vor. "Du warst wieder so früh schlafen, da hast du Susann verpasst." - "Oh, ich kenne Susann. Du meinst die Dänin?" - "Ja. Was für eine Frau... Schätze mal, wie alt sie ist?" - "Puh. Darüber haben wir nie gesprochen. Keine Ahnung. Ich würde sagen... 45?"
Luciano ist ein wenig enttäuscht, denn meine Schätzung ist fast richtig - Susann ist 46.
Schließlich erreichen wir Santiago und die Altstadt. Hier sehe ich keine gelben Pfeile mehr, die den Weg deuten, die sind aber auch nicht mehr notwendig, denn die Kathedrale ragt stolz weit über die Häuser. Im Nu sind wir auf dem Vorplatz der Kathedrale, wo viele weitere Pilger Siegerfotos schießen und sich in die Arme fallen. Ich bitte Luciano auch von mir ein Foto zu machen.
Hier ist es, mit Stock, Muschel und allem drum herum - vor dem Baugerüst vor der Kathedrale
Auf dem Weg sah ich einen Wegweiser, der zum Pilgerbüro zeigt, doch Luciano geht mit mir woanders hin, wo er beim ersten Mal seine Compostela bekommen hatte. Das Büro ist aber umgezogen und nach einer Weile herumirren und zweimal fragen sind wir an dem jetzigen Büro angekommen. Erwartungsgemäß ist dort eine lange Schlange. Luciano sagt, dass er morgen seine Compostela abholt, wünscht mir alles Gute und geht. In der Schlange treffe ich die beiden Japanerinnen wieder, diese sind aber lange vor mir dran. Da wo ich stehe, ist ein genervter Japaner. Genervt, weil der Portugiese hinter ihm sich immer umdreht um mit den Pilgern hinter ihm zu sprechen und ihn dabei immer anstupst. Und weil er denkt, dass ich mich vordrängeln möchte, dabei unterhalte ich mich nur angeregt mit zwei Mexikanern vor ihm, die auch Informatiker sind und für die das mit dem Jakobsweg eine sehr spontane Idee war. "3 Wochen bevor wir liefen wussten wir das noch nicht."
Ich warte etwa eine halbe Stunde. Schließlich bin ich der letzte an der Haltelinie, auf dem Bildschirm erscheint die Aufforderung, an Schalter 4 zu treten.
Ich habe viele Geschichten gehört vom Pilgerbüro. Einige berichteten von verknöcherten Typen, die den Pilgerausweis haarklein überprüfen und nachfragen. Oder ungelernte Kräfte, die erst einmal alles ablehnen. Vor mir sitzt aber eine sehr freundliche und vergnügte Schreiberin, die meinen Pilgerausweis entgegennimmt, ausfächert, anerkennend einen beeindruckten Gesichtsausdruck macht und ihn abstempelt. Pilgerfahrt beendet. In einer Liste soll ich mich eintragen und auch ankreuzen, warum ich gepilgert bin. Ich kreuze "spirituelle Gründe" an und bekomme meine Pilgerurkunde auf Latein ausgefüllt. Ich bemerke beeindruckt, dass sie auf Anhieb und ohne viel Nachdenken sofort die lateinische Version meines Namens kennt, als sie ihn einträgt. Sie zwinkert mir zu: "Ich bin sehr schlau!"
Und das ist sie. Die Pilgerurkunde, die sogenannte Compostela, die beweist, dass ich gelaufen bin
Schon ist es vorbei. Ich kaufe im angrenzenden Souvenirshop eine Röhre, damit die Dokumente nicht gleich wieder verknicken - zum stolzen Preis von 5€. Schon fast draußen bemerke ich, dass ich die Distanzurkunde gar nicht bezahlt hatte, die beurkundet, wie viel ich denn jetzt gelaufen bin. Ich will wieder zurück in den Raum und werde von einem freiwilligen Helfer aufgehalten. Ich erkläre ihm die Situation und er nimmt die 3€ für mich entgegen. "Danke für Ihre Ehrlichkeit!" Und schon bin ich draußen. Und jetzt?
Ich könnte zurück zu dem Kathedralenvorplatz, wo sich eine der beiden offiziellen Pilgerherbergen befindet und wo über 200 Pilger Platz haben - oder über 200 Schnarcher, wenn man so will. Aber auf dem Vorplatz ruft mich jemand - Mani und Markus sitzen auf dem Boden. Wir gratulieren uns gegenseitig und sie erzählen mir, dass sie in einer privaten Herberge in der Nähe vom Busbahnhof unterkommen und laden mich ein, einfach mitzukommen, sie würden ein Taxi dort hin nehmen.
Die Idee war gut. Private Herbergen sind zwar deutlich teurer, haben aber meist nicht die Papierbettwäsche, die eh nie richtig sitzt, sondern echte Laken. Es gibt hier auch Schließfächer, so dass ich meine Wertsachen wegschließen kann. Wir gehen zunächst wieder zu Fuß in die Stadt und trinken uns was in einem Café. Für die beiden ist der Camino hier vorbei. Sie wollen nicht zum Kap Finisterre und sagen, dass es die nächsten Tage noch einmal heiß werden sollen. Richtig heiß. Nachdenklich laufe ich alleine durch die Stadt. Das Pilgermuseum hat leider geschlossen, aber vor dem Museum unterhalten sich zwei Deutsche, die auch bestätigen, dass der Weg noch strapaziös ist und das Wetter sehr unerträglich werden soll.
Auch die Touristeninformation hilft nicht wirklich. Die weist mich darauf hin, dass für den Dienstag und den Mittwoch ein Streik der Busfahrer angedroht wurde. Es ist Sonntag, das würde bedeuten, genau an dem Tag, an dem ich in Fisterra ankäme, könnte ich nicht zurück nach Santiago, ich müsste also in Fisterra zumindest eine Nacht ausharren. "Ab Donnerstag fährt aber alles wieder" beruhigt mich die Dame. Aber das würde bedeuten, dass, wenn ich Dienstag abbrechen müsste, es keinen guten Weg zurück nach Santiago gäbe.
Draußen helfe ich einer Britin und zeige ihr die offene Touristeninformation, nachdem sie verzweifelt feststellen musste, dass alle anderen geschlossen haben. Dann gehe ich etwas essen und treffe dabei Ulli wieder, den Begleiter von Susann. Beim Essen gesteht er mir, dass er mich angelogen hatte. Er wohnt gar nicht in Frankfurt wie immer behauptet, sondern auf Neuseeland. Wir unterhalten uns über die Maori und wie die alte Idee des Mana leider von vielen pervertiert wird und als Grund für Müßiggang verwendet wird.
Nach dem Essen begleitet er mich zur Kathedrale. Dort hake ich zwei Punkte der Pilgertraditionen ab. Ich umarme die goldene Altarsstatue des Jakob, dem man sich von hinten über eine Treppe nähern darf. Und ich sehe mir das legendäre Grab an, den ältesten Teil der Kathedrale. Es findet gerade ein Gottesdienst statt, aber kein Pilgergottesdienst. Dennoch startet der Pfarrer auf spanisch mit den Worten: "Liebe Brüder und Schwestern, liebe Pilger!" Ich gehe dennoch vorzeitig und warte auf die Abendmesse. Ich setze mich an einer Treppe in den Schatten, in der Nähe von einem Straßenmusiker, der auf einem Dudelsack alte keltische Weisen spielt. Als ich aufstehe und um die Ecke laufe, begegne ich Josie, Ellie, Andreas und Johann wieder. Und Nicholas, meinem Barfußläuferfreund, der mich freudestrahlend umarmt und mir gratuliert, es geschafft zu haben. Er deutet auf seine Füße. "Schau mal, ich habe auf dem Weg neue Schuhe gefunden!" Tatsächlich trägt er schwarze Schuhe, die ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Ich grinse: "Der Jakobsweg versorgt!" - "Ja!" grinst er zurück.
Mit Andreas und den anderen unterhalten wir uns etwas darüber. Andreas hat eine sehr esoterische Ansicht von dem Konzept. "Du brauchst gutes Karma, aber dann passieren Dinge!" Er erzählt, wie ihm seine Sonnenbrille, die er auf dem Weg verloren hatte, plötzlich von anderen Pilgern zurückgegeben wurde, die diese auf dem Weg entdeckt hatten. Meine Interpretation davon behalte ich für mich - es ist in Ordnung, wenn er hier eine höhere Macht annimmt, obwohl ich diese Annahme nicht brauche. Eventuell braucht er sie. Und es geht hier ja auch nicht um Kosmologie.
Ich gehe in die Abendmesse. Da es Corpus Christi ist, ist es nicht der "reguläre" Pilgergottesdienst und ich verstehe genug von der spanischen Predigt um sie nicht zu mögen. Alle anderen Teile des Jakobswegs waren eklektisch. Es war egal, welcher Religion oder Überzeugung man angehörte, ob man Atheist oder Heide war. Wir alle wurden durch den Weg vereint. In dem Sermon war davon keine Spur mehr zu finden, hier war Jesus Christus der einzige Weg der Erleuchtung. Ich höre sie mir dennoch mit Melanie und Markus aus Berlin zu Ende an, die ich auf dem Weg kennengelernt hatte. Kurz vor der Messe traf ich sie draußen - leider achten Sicherheitsleute darauf, dass man die Kathedrale wegen Terrorgefahr nur von einem Eingang aus betritt und so mussten wir auf die andere Seite laufen - da das Gebäude aber riesig ist, laufe ich mit den beiden einmal in einem großen Kreis. Dennoch schaffen wir es noch rechtzeitig.
Etwas enttäuscht mache ich noch ein paar Bilder von dem Innenaufbau, insbesondere von dem Altar mit der Jakobsstatue, die ich von hinten ja schon berühren durfte.
In der Mitte
Zurück in der Herberge unterhalte ich mich mit Mani und Markus über den Tag. Eine Sache ist klar: Santiago ist eine Touristenfalle wie so viele, nur eben für Pilger. Die 5€ für die Papprolle war absolut unverschämt - von mir vorgewarnt haben die beiden sich in einem anderen Souvenirgeschäft eine für 1€ geholt. In den Läden kann man jeden erdenklichen Souvenirkram kaufen, von geschmackvoll über geschmacklos zu grotesk. Es gibt Spongebob-T-Shirts, wo der Schwamm mit Pilgerhut, Stock und Muschel unterwegs ist. Dasselbe mit den Avengers und anderen populären Figuren. Auf einem Markt kann man Literatur kaufen in verschiedenen Sprachen zum Weg - unter anderem liegt dort auch ein ganzer Stapel Exemplare von "Ich bin dann mal weg" von Hape Kerkeling.
Natürlich werde ich auch meine Souvenirs besorgen. Dennoch ist es etwas ernüchternd, die Geldmachmaschine daneben zu sehen. Mani und Markus beschweren sich noch über einen weiteren Umstand: während der Messe kann man deutlich den riesigen Weihrauchschwenker in der Kirche sehen - zum Einsatz kommt dieser aber nur, wenn mindestens 300€ dafür bezahlt wurde. Die beiden finden das unverschämt, insbesondere wenn man bedenkt, wie viel Geld hier eigentlich zusammenkommt.
Interessant finde ich nur, dass trotz der Geldmacherei es der spirituellen Seite des Weges keinen Abbruch tut. Man hat immer noch seine interessanten und erleuchtenden Begegnungen und Erlebnisse. Obwohl danach vom kleinen Straßenhändler bis zum Juwelier oder sogar Tättowierer man Geld einholt für mehr oder weniger bedeutungsvolle Souvenirs.
Das soll nicht bedeuten, dass ich es den Menschen verdenke, ihr Geld durch die Pilger zu verdienen. Das war ja auf dem gesamten Weg so. Die Cafés und Bars und Restaurants haben ja nicht ohne Grund die Stempel bereitliegen - es ist Werbung und gleichzeitig Lockmittel für Kundschaft. Daher kann ich auch verstehen, warum die Händler uns in O Porriño umleiten wollen.
Mich beschäftigte eine ganz andere Frage: soll ich jetzt wirklich noch bis Finisterre weiterlaufen? Ich wurde durch die Wetterberichte reichlich verunsichert. Auch durch Mani und Markus, die natürlich recht damit haben - ich habe meine Urkunde, ich bin gelaufen, ich habe das Hauptziel erreicht. Ich habe meine spirituelle Sinnsuche gehabt und erfolgreich abgeschlossen - eigentlich kann ich es hier beenden. Ich BRAUCHE das Pilgern nach Finisterre nicht. Aber WILL ich es?
Ich gehe zum Supermarkt um den Kopf frei zu kriegen, Frühstück zu holen und Mani und Markus Colas mitzubringen, da der Getränkeautomat ausgefallen ist in der Herberge.
Na gut. Das ist ein Notfall, also schalte ich das Handy ein. Ich schicke an Struppi, einen meiner besten Freunde, eine Nachricht und sage ihm, dass ich nicht weiß, ob ich bis Fisterra laufen will, da es eine Bullenhitze ist. "Wie heiß?" - "37°C" - "Besser als -10°C". Er setzt mich auf den Topf und meint, ich solle mich zusammenreißen - mein Ziel sei Fisterra und das soll ich durchziehen und mir das beweisen, meines Selbstwertgefühls wegen.
Mit dem Ziel hat er natürlich Recht. Mit dem Selbstwertgefühl nicht mehr. Der Trick mit dem "Körperdismorphie auf dem Weg lassen" hat erstaunlich gut funktioniert. Es geht mir gut und ich kann mich auch wieder im Spiegel betrachten. Und es geht mit jedem Tag besser. Aber ja. Natürlich hat es auch einen Grund, warum ich Struppi gefragt habe - ich wusste seine Antwort schon bevor ich die Frage gestellt hatte. Ja, ich will. Das war mein Ziel und dieses habe ich noch nicht erreicht. Und ich habe ihn kontaktiert, weil ich weiß, dass er mir entsprechend in den Arsch tritt.
Nach ein paar Nachrichten schalte ich das Handy wieder aus. Natürlich werde ich laufen. Dann wird es halt sehr heiß werden - aber es sind nur noch drei Tage. Es ist vorbei, wenn ich am Kap von Finisterre ankomme und hinaus auf den Atlantik blicken kann.

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Anhang

Wer das elent bawen wel,  der heb sich auf und sei mein gesel  wol auf sant Jacobs straßen!  Zwei par schuoch der darf er wol  ein schüßel...