Sonntag, 9. Juli 2017

Tag 12 - Die Ruhe vor dem Sturm (Vilanova de Arousa - Teo)

Man sieht sich immer zweimal im Leben.
(Redensart)
Normalerweise verlässt man morgens von sich aus die Herberge. Die Hospitaleiros und Hospitaleiras sind dann nicht da, diese sind nur abends dort. Vilanova macht hier eine Ausnahme. Der Hospitaleiro empfängt uns und führt uns zum Hafen um sicherzustellen, dass es bei der Überfahrt keine Probleme gibt und alle rechtzeitig abgeholt werden.
Da es Flut ist, gibt es mit dem Wasser schon einmal kein Problem mehr
Das Schlauchboot füllt sich schnell mit uns Pilgern und ist bald effektiv überfüllt. Karin macht das extrem nervös - sie mag Wasser nicht so sehr. Ganz im Gegensatz zu Bob, der vergnügt wie ein kleiner Junge auf dem Schlauch des Bootes herumhopst, was sie gar nicht lustig findet - auch nicht, als er ihr versichert, dass der Fluss Ulla nicht tief ist.
Arousa, das Gewässer, in dem wir hier sind, ist auch wieder eine Ria, also wieder so eine fjordähnliche Struktur, diesmal eben von der Ulla, den Fluss, wo angeblich die Überreste des Apostels entlang transportiert wurden. Daher gehört dies auch zu der Pilgerfahrt - man wiederholt hier die letzte Reise des Heiligen Jakob. Zunächst fährt uns der Kapitän aber an eine der Muschelfarmen, von denen es viele in der Ria gibt. Er erklärt, dass es sich bei Austern um eines der Hauptexportprodukte handelt und wie die Zucht und Ernte funktioniert.
Als ich an der Ria das erste Mal ankam, sahen die aus der Ferne wie Wracks aus

Wir fahren an einem Nationalpark vorbei, in dem es Europas größten Papagei gibt. Und immer wieder Kreuze. 17 Stück gibt es entlang der Ulla. Jedes steht für einen der originären Jakobswege.
Welches Kreuz für welchen steht, weiß ich leider nicht.
Ich muss etwas grinsen, denn Luciano hatte mich vor der Bootsfahrt gewarnt, dass es kalt werden könnte, und ich solle mir einen Pullover anziehen. Tatsächlich machten das auch die Portugiesen ganz schnell. Ich entgegnete etwas schnippisch, dass ich Norddeutscher sei und er als Venezianer nicht wirklich wisse, was kalt sei. Tatsächlich kühlt das Wasser und der Fahrtwind die Luft ab, da es aber bereits 8 Uhr ist, hat die Sonne schon einiges an Gewalt und die Kombination aus beidem ist mehr als angenehm. Ich muss meine Mütze festhalten, aber mir ist nicht kalt - nach Tagen der Hitze aber auch nicht zu warm. Es ist sehr angenehm und ich knüpfe sogar noch mein Hemd auf um möglichst viel der kühlen Brise nutzen zu können.
Das Boot fährt vorbei an den Ruinen einer alten Wehranlage, den Torres del Oeste (Türme des Westens), die im 9. Jahrhundert errichtet wurde um den Hafen von Pontecesures gegen die Wikinger zu verteidigen. Neben den Türmen sind Drachenboote vertäut und der Kapitän erklärt, dass hier häufiger Nachstellungen des Sieges über die Wikinger stattfinden.
Leider war nur eine Gegenlichtaufnahme möglich
In Pontecesures angekommen kehren Luciano und ich erst einmal ein. Er fragt mich, wie weit ich heute laufen möchte. Prinzipiell kann man es von hier aus bis abends nach Santiago schaffen - so weit möchte ich aber nicht laufen, sondern erst einmal kurz vor Santiago in einem kleinen Ort namens Teo unterkommen. Luciano hat das auch vor und so laufen wir gemeinsam los. Ab hier sind wir wieder auf dem Hauptweg des portugiesischen Jakobswegs unterwegs. Wir erreichen Padrón und die Kirche des Apostels des Heiligen Jakobs. Luciano erzählt mir, dass hier ein Stein ausgestellt ist, an dem angeblich das Boot mit den Überresten des Apostels vertäut wurde. Als wir in die Kirche kommen, ist es aber kurz vor der Messe. Die Dame am Informationsschalter behandelt uns wie Heilige und würgt einen Mann ab, der vor uns in der Schlange steht und der ihr irgendwas erzählt, um uns nicht nur die Stempel zu geben, sondern noch schnell vor der Messe zu dem Stein zu führen, der sich unter dem Altar befindet. Offensichtlich haben dort Leute sich daran versucht, Münzen auf ihn zu werfen. Ich versuche es auch, schaffe es aber nicht.
Andere waren da erfolgreicher
In einem Café trinke ich wieder meinen Liter Eistee. Luciano kann nur mit dem Kopf schütteln, er begnügt sich mit einem Kaffee. Er versteht auch nicht, wie ich mit Sandalen laufen kann. Ich sage, dass es ganz einfach ist, man muss nur einen Fuß vor den anderen setzen.
Es sind zwar keine 40°C, aber es ist heiß genug. Unter einer Kirche befinden sich zwei Brunnen und die Einheimischen machen ihre Mützen und Hemden nass um es einigermaßen auszuhalten. Nach dieser Strecke an der Landstraße, wo man die Nähe von Santiago an den Entfernungsangaben merkt, geht es wieder durch den Wald und fernab des Verkehrs.
Angenehmer Weg, aber leider wenig Schatten
Schließlich erreichen wir die Herberge von Teo um kurz vor 2. Die Hospitaleira ist sehr nett und wir unterhalten uns halb auf Englisch, halb auf Spanisch. Es ist eine kleine und bescheidene Herberge, aber ausreichend. Die Hospitaleira empfiehlt mir ein Restaurant die Straße hoch, das auch glücklicherweise schon oder noch Essen anbietet. Dort bekomme ich nicht nur sehr leckeres Essen, kleine Schweinefleischstückchen in Knoblauch gesotten, sondern treffe auch Susann aus Dänemark wieder, die dort mit einem anderen Deutschen, Ulli, sitzt. Ich hatte Susann seit Rubiães nicht mehr gesehen. Sie erzählt mir, dass sie dort drei Nächte verbracht hat, da ihre Blasen nicht so schnell heilten und wandern mit ihnen unmöglich war.
Das war für sie das schlimmste, es nicht planen zu können und abhängig zu sein - doch die Lektion war wohl für sie wichtig. Denn jetzt war sie entspannt, sie musste sich nicht so sehr unter Druck setzen und das hatte sie gelernt.
Ich erzähle ihr auch von den Lektionen, die ich gelernt habe und zeige ihr das Pamphlet. Auch sie findet sich wieder... das Heftpflaster und der Stock, die Menschen, die uns auf dem Weg halfen und die Verletzungen, die unvermeidlich sind und dazu gehören. Auch den Rucksack - was man mitnimmt und was nicht.
Auch sie ist in der offiziellen Herberge, wir würden uns also später wiedersehen. Ich esse alleine zu Ende und laufe zurück.
Auf der Straße sehe ich einen Krimi - eine Wespe und eine Gottesanbeterin kämpfen miteinander. Es sieht nicht sehr gut für die Gottesanbeterin aus, nachdem die Wespe mehrmals zustach, aber diese lässt schließlich ab, fliegt mich erst aggressiv an und dann davon. Die Fangschrecke ist aber deutlich mitgenommen und kann sich nur sehr langsam weiter bewegen. Eigentlich auch ein Symbol. Die Gottesanbeterin, mantis religiosa, die religiöse Fangschrecke, die von einer Feldwespe, polistes bischoffi, besiegt wird. Aber hier muss man vorsichtig sein - nicht einfach nur etwas als symbolisch annehmen, weil es dazu geeignet wäre. Es muss auch wirklich für einen eine Bedeutung haben und nicht einfach nur ein Naturschauspiel sein. Natürlich - gäbe es eine entsprechende Interpretation...
Ich gehe sehr früh schlafen - aber nicht für lang. Zwei Portugiesen, die als letzte kommen, schnarchen so laut, dass selbst die Ohropax nicht gut helfen. In der Nacht will ich daher in das Erdgeschoss und auf die Couch umziehen - nur um festzustellen, dass das die Hälfte der anderen Pilger in meinem Raum schon getan haben und alles voll ist. Wohl oder übel arrangiere ich mich also mit den Schnarchern. Morgen geht es nach Santiago. Letzte "offizielle" Etappe.

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Anhang

Wer das elent bawen wel,  der heb sich auf und sei mein gesel  wol auf sant Jacobs straßen!  Zwei par schuoch der darf er wol  ein schüßel...