Ich und mein Holz, ich und mein Holz. Holzi, Holzi, Holz.
("Holz", 257ers)Mein Stock ist weg! Die Gehhilfe, die mir Pablo und Manuel im Wald zwischen Redondela und Pontevedra ausgesucht hatten und der mir geholfen hatte, bis hierhin durchzuhalten, hatte ich am Vorabend in einen Köcher vor der Tür gestellt, wo alle Wanderstäbe untergebracht werden sollen. Der Ständer wurde von der Hospitaleira reingeholt für die Nacht - aber mein Stock war am Morgen nicht mehr dabei.
Enttäuscht ziehe ich ohne los. Irgendwie passt das natürlich. In dem Pamphlet mit den Pilgersymbolen stand der Stock für die Menschen, die einem geholfen haben. Also auch die Pilgerfamilie - die Pilger, denen man immer wieder begegnet und die man kennen lernt - mit denen man Erlebnisse geteilt hat und die einem geholfen haben.
Ich war jetzt nicht mehr auf dem offiziellen Jakobsweg, sondern auf dem Camino nach Fisterra. Viel würde sich nicht ändern. Auch hier gab es offizielle Herbergen. Auch dieser Weg wird durch Jakobsmuscheln und gelbe Pfeile markiert sein. Aber viele von den Menschen, die ich kennengelernt habe, würde ich nicht mehr treffen. Josie, Ellie, Johann und Andreas ging die Zeit aus und sie haben daher den Plan, nach Fisterra zu gehen, beerdigt. Nicholas hatte es nicht vor, genauso wenig wie Mani, Markus und Luciano.
Ich wander durch das nächtliche Santiago und hoffe, dass mein Stab wenigstens jemandem hilft, der ihn braucht - statt einfach im Müll gelandet zu sein.
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| Dies war der Platz, wo ich tags zuvor die anderen traf und im Durchgang der Dudelsackspieler stand |
Nach einer Weile verteilt sich die Pilgerschar aber wieder und ich kann eine Zeit alleine laufen. Es geht wieder bergauf und von einer Anhöhe kann man noch ein vorläufig letztes Mal auf Santiago blicken.
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| Die Kathedrale ist deutlich erkennbar |
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| Dafür sieht der Wald gut aus |
Nach gefühlt einer Ewigkeit finde ich ein Café mit WC, wo ich frühstücken und das Gelenk versorgen kann. Gerade als ich gehen will, kommen Andrea, José und Marco. Ich freue mich, die drei wiederzusehen - also ist doch nicht meine ganze Pilgerfamilie fort.
In einem weiteren Abschnitt durch einen Eukalyptuswald sind Forstarbeiter gerade dabei, einen Teil des Waldes zu roden. Rechts am Wegesrand liegt ein sehr junger Eukalyptusstamm, der dabei bereits kurz über den Wurzeln abgesägt wurde. Der Stamm ist sehr gerade, lang und hat einen optimalen Durchmesser zum greifen. Nur die Baumkrone ist noch dran. Ich will gerade fragen, als die Forstarbeiter mich bemerken und selbst auf den Gedanken kommen. Über den Lärm der Kettensäge und unter deren Gehörschutz können wir kaum miteinander reden, das brauchen wir aber auch nicht, die Zeichensprache ist klar. "Sollen wir den kurz für dich durchsägen?" - "Das wäre prima!" - "Wo? Hier?" - "Ja, bitte! Danke!" Der Forstarbeiter schneidet die Baumkrone ab und ich habe einen 2 Meter langen und glatten Stab, der perfekt in der Hand liegt. Einzig das Gewicht macht mir etwas Sorgen, er ist recht schwer. Aber insgesamt ist es ein sehr guter Ersatz für meine alte Gehhilfe. Und besser abstützen kann ich mich auch, so dass es meinem Gelenk bald wieder besser geht.
Das ist auch wichtig, denn es geht steil hoch über einen weiteren Pass. Alle ächzen beim Anstieg. An einer Wasserquelle tränke ich mein Bufftuch mit Wasser um es mir aufzusetzen - es wird nicht lange nass bleiben. Ich halte einen spanischen Pilger davon ab, von der Quelle zu trinken und deute auf das Zeichen, dass dieses Wasser als nicht gesichert ausweist. Ich gebe ihm stattdessen von meinem Wasser ab. Als wir uns am nächsten Café wiedersehen, beschwert er sich darüber, dass die Mücken ihn sehr piesacken. Ich gebe ihm mein Insektenabwehrmittel. Er bedankt sich auf Castellano: "Danke, mein Freund!" Ich will schon sagen: "Auf dem Camino sind wir alle Freunde!" aber stutze: warum nur da? War da nicht was?
Als ich das Café verlasse, holen mich Andrea, José und Marco ein und wir laufen zusammen weiter. Marco erzählt mir, dass er auch mal Kampfsport gemacht hat, aber seine Mutter nicht wollte, dass er weitermacht, da er sich mal beim Training verletzt hat. Nun will er im September mit Parkour anfangen. Ich frage, warum er erst dann anfangen will. Er sagt, vorher gäbe es kein Training in der Halle. Ich sage ihm, dass er mit den richtigen Leuten sich sofort treffen kann und verspreche, ihm am Abend Kontakte zu besorgen. Er schaut mich ungläubig an. "Du kennst Parkour?" - "Hihi, ja, ich weiß, ich sehe nicht so aus..."
Bislang war das Wetter besser als gedacht, aber langsam kommt die Mittagshitze und erdrückt uns. Marco kann pro Atemzug nur ein Wort herauspressen, so sehr müssen wir hecheln.
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| Dafür gab es aber auch wieder eine beeindruckend alte und beeindruckend schöne Brücke |
Negreira macht tatsächlich den Eindruck eines recht guten Orts für Pilger. Wir kommen an Apotheken, Supermärkten und Restaurants mit Pilgermenüs vorbei. Ein paar private Herbergen bieten ihre Dienste an.
Die Pfeile leiten uns weiter und tatsächlich wieder aus der Stadt heraus, was man deutlich am alten Stadttor erkennt.
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| Einziger Trost: die Herberge ist angeblich von dort nicht weit. |
Marco ist nun doch wegen der Parkour-Kontakte neugierig - ich vertröste ihn auf nach dem Duschen und Wäsche waschen. Ich schalte mein Handy ein, denn ich hatte entschieden, dass Pilgerbrüdern helfen als Notfall zählt. Ich frage meine Parkour-Kontakte aus Deutschland und Italien und mache schnell eine Gruppe und zwei Ansprechpartner für Bologna ausfindig. Ich schicke sie Marco zu. Zusammen mit José schaut er sich die Webseite und die Kontakte an.
Als Gegenleistung bitte ich die beiden, mir beim Dekorieren von meinem neuen Stab zu helfen, damit niemand noch einmal auf den Gedanken kommt, dass es sich um Müll handelt. Sie willigen gerne ein. Als sie in die Stadt zum Essen und Einkaufen gehen, gehe ich nicht mit. Ich habe zwar etwas Hunger, aber nicht so viel dass ich den Berg noch einmal hochsteigen möchte. Die Betten sind keine Hochbetten, dafür aber im Dachstuhl. Es ist unerträglich warm und ich will mich einfach nicht bewegen. Punkt. Ich bitte die Jungen, mir ein Baguette vom Supermarkt mitzubringen und kümmere mich lieber um mein Tagebuch und um meinen Schlaf.
Ins Tagebuch schreibe ich Gedanken dazu, was ich denn jetzt eigentlich in Fisterra verbrennen möchte. Es war ja jetzt schon viel im Zweifel. Das Bild von Hamid will ich dort nicht verbrennen, das steht fest. Das Symbol für das gemeinsame Projekt mit Malte? Schon eher. Will ich die Visitenkarte verbrennen, die mir Struppi mitgegeben hatte, von einer gemeinsamen Bekanntschaft? Für ihn würde ich es tun. Aber das würde ich eher mit ihm zusammen machen. Sollte ich nicht eher ein Symbol für meine Körperdismorphie bauen und das verbrennen?
Ich schlafe eine Runde, werde aber von ein paar Franzosen geweckt. Ich weise sie höflich aber bestimmt auf französisch darauf hin, dass ich gerne schlafen würde und sie bitte leise sein mögen. Sie entschuldigen sich und gehen nach unten, ich kann aber nicht weiterschlafen, also geselle ich mich zu ihnen dazu und schließe Frieden mit ihnen. Sie sind bunt durchgewürfelt - ein junger Bretone, den ich auf 18 schätze, eine ältere Dame, ein älterer Herr und noch eine weitere Pilgerin etwa in meinem Alter. Wir unterhalten uns darüber, wie wir gelaufen sind und welche Erfahrungen wir gemacht haben.
Der Bretone ist ausnehmend hübsch, aber ich bemerke, dass ich nicht dasselbe Minderwertigkeitsgefühl habe wie sonst, wenn ich attraktiven Menschen gegenüber sitze - das mit der Körperdismorphie scheint tatsächlich abzunehmen. So kann ich mich auch ganz auf das konzentrieren, was er sagt - die Konzentration brauche ich auch, denn sein Dialekt ist sehr schwer zu verstehen für mich.
Später kommen die Italiener vom Supermarkt zurück und geben mir mein Baguette. Ich frage sie, wie viel Geld sie bekommen und die Jungen antworten "Nichts, das geht auf uns." - wohl als Dankeschön für die Parkour-Kontakte. Andrea meint schmunzelnd, das nächste Mal soll ich sie bitten, Champagner mitzubringen.
Wir holen das nach, wozu wir in Pontevedra nicht mehr gekommen waren und spielen Makao. José gewinnt beide Partien und ich komme bei beiden auf den zweiten Platz. Danach machen wir uns an den Stab. José schnitzt mit meinem Taschenmesser eine Jakobsmuschel auf den oberen Teil. Das Endresultat sieht aber eher wie eine aufgehende Sonne auf. Das gefällt mir eigentlich noch besser, denn in dem Buch Shambhala geht es um die große östliche Sonne, also die aufgehende Sonne, die Qualität, die man im Leben anderen entgegen bringen soll.
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| Ich finde, als Sonne ist es sehr gut getroffen |
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| Es ist ja trotzdem passend |
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| Ist doch ansonsten ganz gut getroffen, oder? |
Das war ein Stichwort. Marco erzählt mir, dass er beim Kungfu auch Waffentraining hatte. Nachdem die beiden fertig mit dem Dekorieren sind, kämpfen wir zum Spaß noch gemeinsam mit dem Stab und ein paar Stöcken, die wir in der Nähe finden. In dieser Disziplin ist Marco deutlich fitter als José.
In der Nacht decken wir uns nicht zu. Es ist unerträglich warm und die Französin in meinem Alter geht gar ganz nach draußen und übernachtet im Garten auf einer Isomatte, da es ihr innen zu warm ist.
Zum Glück hat José herausbekommen, wie man die Fenster bei uns im Schlafsaal dauerhaft auf Kipp stellt, der Mechanismus war etwas komplizierter. Mit dem gelegentlichen Windzug kann ich einigermaßen einschlafen.








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