Samstag, 8. Juli 2017

Tag 10 - Auf den Hund gekommen (Pontevedra - Armenteira)

Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.
(Loriot)
Pablo, mein freundlicher Helfer im Wald, sagte am Vortag, dass Pontevedra für ihn die schönste Stadt auf dem Weg sei. Vielleicht hat er damit die Erwartungen etwas hoch gesteckt. Die Stadt ist jetzt auch nicht hässlich und hat viele hübsche Ecken, aber ich durfte in den letzten Tagen einige wunderschöne Orte besuchen - und Pontevedra sticht nicht wirklich hervor. Zumindest kann man aber erkennen, welche Rolle sie auf dem Jakobsweg spielt.
"Pontevedra" leitet sich von dem lateinischen Namen "Pontus Veteris" ab, was so viel heißt wie "die Brücke der Ahnen". Die Brücke, auf die das Bezug nimmt, ist die Ponte del Burgo, die mit Jakobsmuscheln verziert ist und daher keinen Zweifel daran lässt, dass sie schon sehr lange von Pilgern passiert wurde.
Es ist eine schöne Brücke - aber nicht die schönste, über die ich lief.
Ich erreiche bald die Abzweigung, an der ich mich endgültig entscheiden muss. Der Hauptweg des Camino geht nach rechts, Richtung Caldas de Reis, Padrón und dann Santiago. Nach links kommt man auf die Variante Espiritual, die "spirituelle Variante", die einen Tag länger und für mich interessanter ist, da sie an die Rias führt und über eine Strecke, die die "Route von Stein und Wasser" heißt. Außerdem laufe ich ja den Weg aus spirituellen Gründen, ich fände die Alternative also passender.
Wegen meines Fußgelenks hatte ich diese Entscheidung aber wieder in Zweifel gezogen. Soll ich oder soll ich nicht? Der Weg beantwortet die Frage für mich. Es sind sehr viel Pilger unterwegs, die meisten biegen rechts Richtung Caldas de Reis ab - auch die Pfadfindertruppe, die ich zwei Tage zuvor sah, die zwar alle einen echt netten Eindruck machen, aber, was für Jugendliche ja jetzt nicht untypisch ist, sehr viel Lärm machen. Also laufe ich nach links, allzu viel Trubel will ich nicht haben.
Einen gelben Pfeil verpasse ich fast, da er unter dem Gestrüpp etwas versteckt ist und vor allem auf einen steil nach oben verlaufenden Trampelpfad deutet. "Das ist doch nicht deren Ernst!" denke ich mir, während ich hochkraxel, aber die dort angebrachten Pfeile bestätigen es: doch doch, das ist der Weg, der weiter durch einen Farnwald und dann an dem Feld eines Bauern entlang führt.
Das war noch das harmloseste Gestrüpp
Nach dieser ersten anstrengenden Etappe setze ich mich in der Nähe eines Wohngebiets auf einen Stein, verarzte meinen Knöchel und creme mich ein. Ein Mann läuft hier gerade mit seinem Hund Gassi. Der Hund, ein zotteliger Mischling, sieht mich und findet die Nummer mit dem Stein offensichtlich toll, jedenfalls läuft er schnurstracks auf mich zu, springt neben mich und reibt einladend seine Seite an meiner. Ich folge der Einladung und streichel ihn. Der Besitzer ruft ihn zurück. "Nico! Niiiicoooo!" Aber Nico findet es ganz bequem bei mir. Der Mann entschuldigt sich bei mir auf Castellano. "Aus, Nico! Nein! Komm schon!" Nico nimmt das als Anlass um sich neben mich demonstrativ hinzusetzen und mich ihn weiter streicheln zu lassen. "Tut mir wirklich leid, mein Herr, aber wenn es nach ihm ginge, würde er mit der ganzen Welt schmusen! Nico, jetzt komm schon!" Erst als der Mann, der selbst einen schönen, langen Stock dabei hat, Nico am Halsband etwas wegzieht, kann er endlich weiter. Noch einmal "Entschuldigung!" und "einen guten Weg!"
Ich fand dieses kurze Treffen mit Nico aber ganz gut. Denn Hunde sind ein Symbol für die eigene tierische Seite, die verspielt und im Jetzt sind. Die Tarotkarte "Der Narr" zeigt daher auch häufig einen Hund - frei von den Sorgen über die Zukunft oder die Vergangenheit im Hier und Jetzt sein. Und eine spirituelle Reise bezeichnet man auch häufiger als "Die Reise des Narren", denn damit man empfänglich für spirituelle Botschaften ist, muss man genauso sein - wie ein Narr. Beziehungsweise ein Hund.
Nach einer Weile durch Wald- und Feldwege erreiche ich mein erstes Teilziel: das Kloster von Poio. Leider kommt hier auch eine größere Reisegruppe an und der Rezeptionist, von dem ich einen Stempel für meinen Pilgerpass haben möchte, ist entsprechend gestresst. "Und Sie? Gehören Sie auch zu der Gruppe?" - "Nein, ich will nur einen Stempel." - "Einen was?" und guckt mich mit Stirnrunzeln an, bis er die Jakobsmuschel um meinen Hals sieht. "Ach so!" Er holt aus einer Schublade einen Stempel und einen Stempelkissen raus, zeigt mir etwas kurz angebunden, wie herum der Stempel richtig zu halten ist und kümmert sich weiter um die Touristen. Ich stempel meinen Ausweis ab, bedanke mich und verlasse das Kloster.
Wobei ich mir das Kloster auch gerne angesehen hätte
Etwa eine Stunde später bin ich an der ersten Ria (ría auf Galego) auf meinem Weg. Eine Ria ist eine fjordähnliche Flussmündung, von denen es hier ein paar gibt, die als "Rías Baixas" (die niederen Rias) zusammengefasst werden. Es riecht nach Meer, Möwen kreischen und ich und ein paar andere Pilger, die ich hier treffe, haben einen wunderschönen Blick auf Combarro, einem kleinen Fischerdorf.
Das rechts ist Combarro
In Combarro angekommen wird man erst durch die hübsche Altstadt geführt, wo man vermehrt zwei Dinge sehr prominent sieht. Zum einen sieht man alte hórreos, das sind Maisspeicher, die man überall in Galizien findet, die Speicher hier sind aber offensichtlich sehr alt und fügen sich schön in die alten Gemäuer ein.
Hier gleich zwei nebeneinander
Zum anderen findet man hohe Steinkreuze, die auf der einen Seite Maria zeigt und auf der anderen ein Kruzifix. Eine Informationstafel erklärt die ernüchternde Bedeutung. Die Steinkreuze wurden an Plätzen errichtet, an denen in der alten, vorchristlichen, keltischen Religion die Hexen (die meigas und die brujas) getanzt und ihre Riten durchgeführt haben. Man hat das dort gemacht um die Gegend zu christianisieren und sich gegen die alten Riten zu setzen.
Es ist ein Zeichen dafür, dass zumindest Teile der Jakobswege älter sind als das Christentum. Und der Weg des Apostels auch der Weg einer Missionierung war, die Ausrottung eines Glaubens Andersdenkender.
Es gibt sehr viele Steinkreuze, gerade auch schon hier in dem Dorf. Die Informationstafel spricht von elf allein in der Altstadt, aber ich sehe in Galizien immer mal wieder ein solches Kreuz. Wenn diese alle an Kultstätten errichtet wurden, dann zeigt es das Ausmaß der Kampagne.
Eines der Steinkreuze - beide Seiten zu fotografieren ist schwer
Die Kellnerin in einem Café, wo ich meine obligatorischen drei Eistee trinke, ist sehr niedlich besorgt um mich und redet auf Spanisch auf mich ein. "Aber mein Herr, das geht gleich noch steil bergan!" - "Ist das so?" - "Ja! Das wird sehr anstrengend! Sind Sie auch wirklich erholt?" - "Ja, das wird gehen müssen." - "Aber morgen... morgen soll es 40°C werden!" - "Wirklich?" - "Ja! Heiße Winde aus Afrika ziehen rüber! Ist das nicht viel zu warm, Sie tragen ja ein Oberhemd?" - "Ja, um mich vor der Sonne zu schützen." - "Ach ja, Sie Deutschen haben ja immer so empfindliche Haut... Aber ja, überlegen Sie sich das doch noch!" - "Da muss ich durch. Kann ich bitte zahlen?" - "Jetzt schon?!? Aber es ist gerade Mittagshitze!" - "Ich habe keine Wahl, ich muss ja ankommen..." Etwas resigniert nimmt sie mein Geld entgegen und ich verlasse das Café wieder.
Das mit dem steilen Anstieg hat mich natürlich nicht kalt gelassen - das Fußgelenk schmerzt immer noch und ich habe auch heute wieder Paracetamol deswegen eingeworfen, in der Hoffnung, dass das gehen wird. Aber zunächst gibt es eine knöcheltötende Strecke steil den Berg hoch. Trotz Stock, Schmerzmittel und Voltaren ist es beschwerlich und nur die Sturheit lässt mich nicht aufgeben. Dafür werde ich auf der Anhöhe mit einem wundervollen Ausblick belohnt. Ein Schild weist darauf hin, dass nur 500m weiter ein noch beeindruckenderer Ausblickpunkt ist, aber mit meinem Fußknöchel will ich das nicht riskieren. Ich treffe zwei Portugiesen wieder, die erst heute in Pontevedra los liefen und die gerade von diesem anderen Punkt zurückkommen. Sie bestätigten, dass die Aussicht wirklich beeindruckend ist - würden mir aber auch empfehlen, mit meinem Knöchel dort nicht hin zu humpeln.
Da musste ich mich halt damit zufrieden geben...
Die Portugiesen haben Wanderstöcke dabei und verkünden, dass sie glauben, mit solchen wäre mein Knöchel noch in Ordnung. Natürlich mögen sie da Recht haben, ich finde es aber etwas vermessen, das jemandem zu sagen, der bereits den zehnten Tag läuft, wo es ihr erster ist. Das sage ich aber nicht laut. Stattdessen wechsel ich das Thema und wir unterhalten uns über Fernsehserien. Plötzlich taucht, wie aus dem Nichts, ein Hund neben uns auf. Ein schwarzes Tier mit glattem Fell. Er macht einen gepflegten Eindruck und trägt ein Halsband. Auch sein Benehmen ist eher das eines Schoß- als eines Wachhunds. Er holt sich bei einigen von uns Streicheleinheiten ab und rennt dann vor um einen anderen Pilger, der gerade unter einem Baum im Schatten Rast gemacht hat, anzukuscheln. Es handelt sich um einen Italiener, Luciano aus Venedig, ein 70jähriger Venezianer, den ich schon in Redondela kennengelernt hatte. Wir laufen alle gemeinsam weiter. Der Hund scheint sich in unserem "Rudel" sehr wohl zu fühlen. Mal läuft er vor, späht und kläfft eine Eidechse oder ein Eichhörnchen weg, mal läuft er hinterher und setzt Duftmarken. Gegen die Hitze suhlt er sich einmal in einer Pfütze, ist aber rücksichtvoll genug, sich nicht direkt neben uns auszuschütteln.
Schließlich wollte er auch immer wieder von uns Streicheleinheiten bekommen
Ich falle immer weiter zurück, da ich wegen meines Knöchels nicht so schnell laufen kann und schließlich sehe ich die anderen und den Hund nicht mehr. Ich kämpfe mich alleine über den Pass und durch die Trampelpfade, die nach Armenteira führen. Dort angekommen finde ich Luciano an einem Café wieder. Ihm ist nicht ganz klar, wo es zur Herberge geht. Man kann an dem Kloster von Armenteira übernachten, aber nur auf Voranmeldung und für 35€. Wir wollen aber zur offiziellen Herberge und wo die ist, da haben wir widersprüchliche Informationen. Eine Wirtin sagt, man müsse nur rechts und dann links, der Wirt sagt, einfach den Markierungen folgen. Wir glauben dem Wirt und tatsächlich kommt nach einer Weile der Pfeil Richtung Herberge. Es stellt sich heraus, dass natürlich beide Recht hatten - der Weg, den die Wirtin vorschlug, wäre aber angenehmer für Luciano gewesen, der wegen seines Alters ein Problem mit Anstiegen hat. Wir erreichen gemeinsam die Herberge und kurz bevor ich die Tür aufmachen kann, spüre ich etwas feuchtes an meiner Hand. Es ist der Hund, der mich mit einem fröhlichen Schwanzwedeln und einem Stups begrüßt. Auch er hat es hier hin geschafft - ein echter Pilgerhund.
Leider sind in den Pilgerherbergen Hunde und andere Tiere verboten. Als ich also die Tür aufmache und der Pilgerhund mir wie selbstverständlich folgt, wird er von der Hospitaleira mit einem sehr scharfen "No!" des Hauses verwiesen. Als die Tür noch einmal aufgeht, versucht er es noch einmal, diesmal zieht sie ihn etwas unsanft am Halsband nach draußen.
Ich kläre mit der Hospitaleira die Formalien. Pilgerausweis, Personalausweis, "Welchen Beruf haben Sie? Wie alt sind Sie? Für die Statistik." Nach zehn Tagen kannte man die Fragen alle. Ich nehme die Papierbezüge zum Einmalgebrauch und beziehe mein Bett in der urigen kleinen Herberge. Als ich fertig bin, gehe ich nach draußen, um einmal beim Hund nach dem Rechten zu sehen.
Hinter der Tür eröffnet sich mir ein Bild des Jammers. Der Hund liegt verängstigt und eingekauert auf der Veranda. Offensichtlich findet er die Gesamtsituation mehr als beschissen und ganz besonders die Nummer mit dem Hausverbot für Hunde. Er weiß offensichtlich nicht, wie er nach Hause kommen soll. Ich nähere mich ihm um, wie mit der Hospitaleira abgesprochen, mal zu sehen, ob am Halsband irgendein Hinweis auf den Besitzer ist. Die Aufgabe wird sehr einfach, denn der Hund stürzt sich mir in den Schoß, weil er unbedingt zum Trost gekuschelt werden möchte. Am Halsband findet sich aber nur ein Anhänger, auf dem "SPOILT" steht, also das englische Wort für "verwöhnt" - das hilft nicht wirklich weiter. Ich kraule den Hund und spreche mit der Hospitaleira.
Ob sie ihn mal zum Tierarzt fahren kann, damit der den Chip ausliest? Ich erinnerte mich, dass auf der anderen Seite des Hügels eine Hundepension war. Vielleicht ist er von dort geflüchtet?
Die Hospitaleira bietet an sich drum zu kümmern, auch wenn ihr das gerade etwas viel Aufregung ist, denn ein portugiesisches Mädchen vermisst ihre Brieftasche und bezichtigt Ellie und Josie, die zwei deutschen Pilgerinnen, die ich schon in Redondela getroffen hatte, die eingesteckt zu haben. Es half auch nicht, dass der Pilgerhund sich entschieden hat, sie nicht zu mögen, obwohl sie als Friedensangebot eine Schüssel Wasser für ihn rausgestellt hatte. Am Halsband muss sie das Tier in ihr Auto ziehen.
Ich gehe zunächst in das Dorf um etwas zu essen. Als ich wiederkomme ist die Hospitaleira wieder da. "Wie geht's?" - "Gut - wie geht es mit dem Hund?" - "Als ich zum Tierarzt gefahren war und die Klappe vom Auto öffnete, sprang der Hund raus und rannte und rannte und rannte und weg war er."
Das war nicht ganz die Auflösung, die ich mir erhofft hatte. Die Hospitaleira sagt, vielleicht war er einfach desorientiert und hatte da dann wieder seinen Weg gefunden. Ich dachte, dass er einfach sie nicht mochte und deswegen Reißaus nahm - aber immer noch nicht wusste, wo er ist oder wie er nach Hause kommen soll. Die anderen Deutschen behaupten, dass sie vermutlich kurzen Prozess mit dem Hund gemacht hat. "Das macht man hier so." - ich will gar nicht anfangen, wie unglaublich über den Kamm geschert ich diese Aussage finde und damit wie überheblich. Ich traue der Dame jedenfalls keinen Tiermord zu, besonders gegenüber einem offensichtlich gutmütigen Tier. Im Bett liege ich noch etwas wach und mache mir Sorgen. Der Hund ist deutlich nicht gewohnt, in der freien Natur zu übernachten und für sich selbst alles zu erstreiten. Er wird sich einsam und verloren fühlen. Ich hoffe, dass er sein Herrchen oder Frauchen wiederfindet und male mir aus, wie er andere Pilger findet und sie über den Pass führt, immer vor gemeingefährlichen Eichhörnchen Wache haltend. Und insgeheim frage ich mich, ob er vielleicht morgen früh vor der Herberge auf uns wartet um die nächste Etappe zu laufen. Jedenfalls begann so der Tag mit einem Hund - und er endete mit einem Hund.
Wenigstens die Sache mit der Brieftasche hat sich geklärt gehabt - die Portugiesin hatte sie einfach verlegt und dann wiedergefunden.

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Anhang

Wer das elent bawen wel,  der heb sich auf und sei mein gesel  wol auf sant Jacobs straßen!  Zwei par schuoch der darf er wol  ein schüßel...