Don't waste your time on jealousy. Sometimes you're ahead, sometimes you're behind. The race is long and, in the end, it's only with yourself.
Verschwende deine Zeit nicht mit Eifersucht. Manchmal bist du vorne, manchmal bist du hinten. Das Rennen ist lang und am Ende ist es nur mit dir selbst.
(aus: "Advice, like youth, probably just wasted on the young", Mary Smich, Chicago Tribune)Als die Runde organisch aufbricht, ist es schon Tag. Ich habe noch nicht wirklich geplant, wo ich in dieser Nacht unterkommen möchte. Theoretisch steht Ponte de Lima an, was wieder eine Tagesetappe von 36km bedeuten würde. Auch wenn die eher nüchterneren Schätzungen darüber, was ich die zwei Tage zuvor lief, sich auf 26 und 22km belaufen, nach den Märschen möchte ich ungern so eine lange Tour laufen, sondern zwischendurch unterkommen. Bloß wo?
Eine Möglichkeit hatte Elvira bereits mit uns diskutiert: sie hatte in Barcelinhos einen Ruhetag eingelegt und würde an diesem Tag nicht so weit laufen - vermutlich nur bis zur offiziellen Herberge in Tamel. Mal sehen. Zunächst laufe ich über die schöne Brücke nach Barcelos hinein. Diese Stadt steht ganz im Zeichen der Pilger. Nicht nur zieht eine regelrechte Karawane durch die Innenstadt, fast jedes Haus wirbt damit, dass man einen Pilgerstempel für seinen Pilgerpass bekommen kann - oder der Name hat irgendwas mit Pilgern zu tun. So frühstücke ich den obligatorischen Kakao mit Croissant im Café Santiago. Neben mir sitzen zwei andere deutsche Pilger, Sabine und Thomas. Diese wollen heute zu den Casas do Rio - das ist eine Hotelanlage zwischen Barcelos und Ponte de Lima, die ein Pilgerangebot haben und wo es Swimming-Pool, Frühstück, Doppelzimmer und Whirlpool gibt. Die Option klingt tatsächlich schmackhaft, aber ich laufe erst einmal weiter.
Barcelos ist eine sehr schöne Stadt - auf dem Marktplatz ist gerade ein großer Markt und viele Straßen sind bereits für das bald anstehende Johannisfest geschmückt.
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| Die restlichen Sehenswürdigkeiten sind es aber auch würdig, gesehen zu werden |
Es geht bergauf, aber nicht wirklich steil - die Temperatur ist angenehm und wir unterhalten uns gut. Wir treffen auf zwei Niederländer und in einem schönen Mischmasch aus niederländisch, deutsch und englisch unterhalten wir uns über alles Mögliche. Der Weg ist auch nicht kompliziert dank der freundlichen Hilfestellungen von Anwohnern.
Nach einer erstaunlich kurzen Zeit erreichen wir die Herberge in Tamel. Es ist erst 11 Uhr und die Rezeption macht erst um 14 Uhr auf, also setzen wir uns erst einmal dort auf die Bänke und vertreiben uns die Zeit. Eigentlich habe ich noch genug Energie und will zu den Casas do Rio weiterziehen - glücklicherweise entschließe ich mich aber dazu, den Kellner im gegenüber gelegenen Restaurant da mal anrufen zu lassen - ausgebucht. Ein anderes Hotel dort ebenfalls. Das heißt: eventuell in der Casa Fernanda, einer anderen Herberge auf dem Weg, unterkommen, was aber ein Glücksspiel ist. Oder: einfach mal den Tag ruhig angehen lassen und in Tamel in der Herberge bleiben. Ich entschließe mich für letzteres.
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| "Hier lang, Schatzi" |
Viel gibt es außer dem Restaurant nicht in Tamel. Die Herberge ist direkt neben der Kirche, die pünktlich alle halbe Stunde vom Band die Hymne "Ave Maria di Fatima" spielt, was einem erstaunlich schnell auf den Keks geht - was aber nachts irgendwann aufhört.
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| Nachts hört es auch auf, dass die Kapelle hübsch aussieht, da dann das Kreuz in einem ekelhaften Neongrün leuchtet |
Der Hospitaleiro, Carlos, ist sehr nett, spricht sehr gut englisch und zeigt uns alles in der Herberge. Morgens sollen wir durch den Hinterausgang hinausgehen, da kann man raus - aber nicht wieder rein. Wir sollen uns also vergewissern, dass wir alles dabei haben. Bei dem Rundgang tritt Elvira aus Versehen auf die Schnalle meines Hüftgurts - sie ist darüber erschrockener als ich. Mit Alleskleber, den mir die Belegschaft vom Hostel netterweise gibt, und Leukotape versuche ich den Schaden zu reparieren - ob das wirklich effektiv ist, zeigt sich natürlich erst, wenn ich wieder gehe.
Eine Gruppe bayrischer Pilger trifft ein mit einem Pilger im Schlepptau, den ich auf 18 oder 19 schätze. Die Bayern und ich kommen ins Gespräch und sie wollen von mir wissen, wo ich herkomme. Ich lasse sie raten und sie raten genau falsch herum (sie sagen, ich würde aus der Nähe von Köln kommen und jetzt im Norden leben, statt anders herum). Ich frage den 18jährigen nach seinem Namen und er sagt: "Rate!" Nebenher höre ich jemanden sagen: "Das ist jetzt aber unfair, Tim.", was Tim aber nicht mitbekommt, weil er mich gerade herausfordernd angrinst. Ich lächle defensiv und entschuldigend: "Ach, ich weiß nicht, ich glaube, ich nenne dich einfach Tim." Tims Kinnlade fliegt herunter und er starrt mich mit einem herrlichen Gesichtsausdruck an. "Was... woher weißt du... wie?!?"
Er ist so perplex, dass er die Erklärung der anderen nicht hört und mich nur ungläubig nach einer Antwort anstarrt. Und selbst als ich sie ihm gebe, fragt er zweimal nach.
Tagsüber hatte ich in Barcelos mehrere Hähne gesehen - keine echten (obwohl man die immer mal wieder hört), aber bunte und bestimmt sehr symbolische:
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| Zum Beispiel so einen, direkt neben dem Stadteingang |
In der Vitrine der Herberge liegen Halsketten von diesem Hahn mitsamt einer Erklärung in verschiedenen Sprachen. Es handelt sich um den Hahn von Barcelos - der aber insgesamt auch ein Symbol nicht nur von Portugal ist, auch Teile von Galizien sehen sich mit dem Hahn verbunden.
Der Hahn ist Element einer Legende. Nach der gab es einmal ein großes Fest, bei dem Silberbesteck gestohlen wurde. Ein Gast wurde des Diebstahls bezichtigt und vor Gericht gebracht, wo er immer wieder seine Unschuld beteuerte, bis er rief: "Wenn ich unschuldig bin, so soll dieser Hahn krähen!" und deutete auf ein Federvieh, das wegen eines Streitfalls im Gericht war. Der Hahn krähte und der Angeklagte wurde freigesprochen.
Ich kaufe eine Kette. Schaden kann es nicht, durch einen Hahn freigesprochen zu werden.
Als die anderen fast kollektiv zum Essen gehen, bleibe ich in der Herberge und lese in "Shambhala - the sacred path of the warrior", wo es um eine eher pragmatische als religiöse spirituelle Lebensweise geht. Das Buch erklärt eine Meditationspraxis, die ich ausprobiere.
Carlos hat Feierabend gemacht und zwei Stellvertreter in der Herberge gelassen. Die sind zwar nett, sprechen aber nur Portugiesisch und ein wenig Französisch. Mein Portugiesisch reicht glücklicherweise aus um zwei Amerikanern zu helfen, die ihr Gepäck per Boten in die Nähe der nächsten Herberge geschickt, aber keinen Beleg für die Abholung bekommen hatten, um herauszufinden, ob das ein Fehler war und die beiden zu bitten, Carlos anzurufen, damit er das mit dem klären kann. "Ne, Beleg braucht man nicht." sagt schließlich Carlos am Telefon den ungläubigen Amerikanern.
Diese Unterhaltung lief jedenfalls erfolgreicher als der Versuch die beiden Hospitaleiros zu fragen, was noch einmal "Angenehm, deine Bekanntschaft zu machen!" auf portugiesisch heißt, ein Gespräch, was sich 15 Minuten im Kreis dreht, bis ich endgültig aufgebe, als der letzte Versuch so endet: "Angenommen, wir treffen uns zum ersten Mal, und ich sage: 'Hallo, ich bin Jens!', was sagst du dann?" - "Ach so... ich sage 'Hallo, ich bin Domingo!'" - "Nein, ich meine, was sagst du danach?" - "Ach so... da sage ich 'Auf Wiedersehen!'"
In der Nacht habe ich einen Refluxanfall. Aufgrund meines Übergewichts schließt mein Magen nicht richtig zur Speiseröhre ab und ab und an wache ich nachts auf und ersticke an meiner eigenen Magensäure. Das passierte glücklicherweise nicht, aber ich muss stark husten. Ich gehe ins Badezimmer und spüle die Säure mit viel Wasser herunter und nehme gleich vier Gaviscon auf einmal um das zu verhindern. Ich möchte ungern die Herberge damit wecken.
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